90 Jahre Tennisclub Herrenberg e.V.

Von der Provinzidylle zum attraktiven Tenniscenter : Vision aus Java im Schwabenländle umgesetzt

Zur Saisoneröffnung 2015 können Herrenbergs Tennisfreunde auf ein 90-jähriges Bestehen ihres Clubs zurückblicken. Sie können dies im stolzen Bewußtsein tun, einem Club anzugehören, der mit zu den Pionieren im Tennissport zählt. Hatten doch seine Gründer 1925 das bis dato nur in den Metropolen bekannte und betriebene Spiel mit der weißen Filzkugel in die Provinz gebracht, populär gemacht und durch sinnvolle Einbindung des Umfeldes zu einem allgemein beliebten und geschätzten sportlichen Freitzeitvergnügen werden lassen.

Eine kurze Rückschau und Bilanzierung der hierzu notwendigen und maßgeblichen Arbeit, die ein Dreivierteljahrhundert kreativen Wirkens umspannt, bietet auch Anlaß zur Freude und Genugtuung. Die Idee der Vereinsgründer Architekt Fritz Reichart, Textilkaufmann Gustav Gall und Verleger Karl Merz entsprang keiner kurzatmigen Laune, sondern war ein entwicklungsträchtiger Anfang, der von nachfolgenden Generationen begeistert aufgenommen wurde. Der damit verbundene und vollzogenen Wandel von ursprünglicher Exklusivität einer Sportart zu allgemeiner Popularität auf breiter Ebene kann am Herrenberger Beispiel überzeugend nachvollzogen werden.

Dabei war es, wie so oft im Leben, einer Reihe von Zufälligkeiten zu verdanken, dass Tennis im Gäu fröhlichen Urständ feiern konnte: Für den in den Zwanzigerjahren angehenden, jungen Architekten Fritz Reichart hatte sich eine fast abenteuerlich anmutende Möglichkeit praktischer, beruflicher Fortbildung ergeben. Er konnte an einem indonesischen Bauprojekt auf Java teilnehmen. Bei dem damit verbundenen längeren Aufenthalt auf der Insel wurde er von englischen Kollegen in das von ihnen eifrig gepflegte Lawn-Tennis eingeführt. Er war von diesem Sport so begeistert, dass er ihn nach seiner Rückkehr auch im heimischen Bereich einführen wollte. Freunde teilten seinen Enthusiasmus, und couragiert ging es spontan an die Umsetzung dieser damals noch von Vielen als spleenig belächelten Idee.

So hielt der Weiße Sport in dem knappe 3.000 Einwohner zählenden Oberamtsstädtchen Herrenberg seinen Einzug. Zum Spielfeld wurde eine Waldrandwiese in der Nähe des „Roten Meeres“ auf dem Schloßberg hergerichtet. Aus dem zuerst als sportliches Wochenendvergnügen gedachten Ballspiels in familiärem Kreise ging die kleine, auf permanenten Fortschritt eingeschworene Avantgarde recht bald zu einer Vereinsaktivität über. Erstes Kräftemessen war angesagt. Dazu fand man Gleichgesinnte aus dem einzigen bereits aktiven Club Böblingen. Dieser rückte zum ersten Match mit eigenem Tennisnetz an, da man den Herrenberger Sportkameraden noch keine komplette Ausrüstung zugetraut hatte.

Mit Optimismus wuchs der junge Herrenberger Club einer Vision entgegen und erkämpfte sich 1928 gegen Vorurteile amtlicher und ziviler Kopfschüttler Grund und Boden für den Bau einer nun neuen Ansprüchen genügenden größeren Anlage in dem am südlichen Stadtrand gelegenen einstmaligen Gewand Mühlhausen. Ein dort schon von Anfang des Jahrhunderts aufgelassener, verwahrloster Friedhof mit einem später als Lager genutzten Pulverhäuschen konnte nach zahlreichen Debatten und markig formulierten Pressekampagnen schließlich als Platz für eine Neuanlage im Erbpachtrecht erworben werden. Die zwei Spielfelder, die hier angelegt wurden, sind noch heute in Betrieb. Sie wurden zur Keimzelle eines 40 Jahre später errichteten, gestalterisch und funktionell vorbildlichen Tenniscentrums.

1929, als Herrenberg das denkwürdige Fest zur 700-Jahrfeier beging, marschierte im Festzug erstmals eine weiß-bedresste Abordnung des jungen Tennisvereins mit.

Man hatte sich endgültig etabliert und eigene Dynamik entwickelt. Ein erster Trainer konnte angestellt werden und eine geregelte sportliche Arbeit mit System begann. Die ersten Gastmannschaften mit denen man in Wettbewerb trat, kamen aus Böblingen, Tübingen, Rottenburg, Calw, Waiblingen und Stuttgart. Mit gesundem Ergeiz schuf sich die kleine Truppe der Aktiven eine „Machtposition“. Es hieß, man habe keinen Gegner mehr zu fürchten außer den TC Tübingen. Dank forcierter Jugendarbeit hatte man sich auch eine Nachwuchsreserve schaffenkönnnen.

Nach kriegsbedingtem Zwangsstillstand des Clublebens ab dem Jahre 1940 dauerte es immerhin acht Jahre, ehe im Frühjahr 1948 eine Wiederbelebung durch junge Initiatoren unter der Führung von dem Mitbegründersohn Lothar Gall in Gang gesetzt wurde. Die kleine Spielanlage war durch die Besatzer zwischenzeitlich zu einem Reit- und Radplatz umfunktioniert worden. Es fehlte an den einfachsten Materialien. Dennoch wurde dank unentwegter Eigenleistung und Spenden das „Wunder von Mühlhausen“ vollbracht. Noch im gleichen Jahr war ein improvisierter Spielbetrieb wieder möglich geworden.

1950 feierte der TCH in bescheidenen Rahmen sein 25-jähriges Bestehen, sowie die Heimkehr des Altvorstands Fritz Reichart aus der Kriegsgefangenschaft. Begeistert hatte sich sogleich der prominente Mitstreiter als Präsident wieder mit eingeschaltet und weitere Kräfte mobilisiert. Aus produktiver Unruhe entstand eine neue Orientierung mit folgenreichen Alternativen, die nun jeder folgende Vorstand frei nach dem Motte „wenn Geld und Material knapp sind, braucht man Phantasie“ umzusetzen suchte.

So gab es unter Hellmut Weidhaas Anlagenverbesserungen, ein erstes Clubhaus mit (einer) Dusche und einem separierten „Häusle mit Herzle“. Der gute alte Ruf als gastfreundlichster und geselligster Wohlfühl-Club wurde nachhaltig gefestigt. Nachfolger Helmut Bausch sorgte nach finanzieller Besserung der allgemeinen Finanzlage couragiert mit der Planung und dem Bau eines modernen Tenniscenters für einen Quantensprung im Vereinsgeschehen. Für die daraus resultierenden technischen, organisatorischen und sportspezifischen Weiterungen, sowie für die angestrebten Leistungen der inzwischen 18 Mannschaften und die Einführung des Breitensports wurde die Voraussetzungen entwickelt und umgesetzt unter der Regie der Präsidenten Otto Egenter, Heinz Mayer, Rolf Lindner und Hans-Wilhelm Mikorey.

Der TCH zählt heute im Bereich des WTB und des Sportkreises mit seinen 542 Mitgliedern trotz einer temporär rückläufigen Bewegung zu den starken und innovativen Vereinen im Lande, was auch durch die übertragung überregionaler Veranstaltungen Anerkennung fand. Ungeachtet der eigenen Aufbauleistung hat der TCH auch den in den vergangenen Jahren neu entstandenen Tennisclubs gerne nachbarliche Hilfe gewährt. Dass er sich auch ferner in jener Form präsentieren wird, die man von einer modernen und zeitgemäßen Freizeiteinrichtung erwartet, dafür setzt sich auch die zum Milleniumswechsel neu gewählte Vorstandschaft ein, die zum ersten Mal seit 75 Jahren das Patriarchat des Vereins abgelöst hat und nun von einer Frau angeführt wird. Nach erfolgreichen Revirement in der Vereinsführung hat Christina Nolte, Dipl. oec., die volle Unterstützung des Clubs dazu erhalten.

Hellmut M. Weidhaas im März 2000

Aktualisierungen:
Nicole Schmidt im Januar 2015